Von der Kunst des Überlebens in der DDR: Lesung des Zeitzeugen Horst Böttge

Am Mittwoch, den 13.10.2021, besuchte der DDR-Zeitzeuge Horst Böttge das MTG und sprach vor Schüler:innen der Q12 über seine Kindheit und Jugend in der DDR sowie sein Buch «Drangsaliert und Dekoriert. Von der Kunst des Überlebens in der DDR» (Mitteldeutscher Verlag, 2015), das die Lebensgeschichte seines Bruders Richard in der DDR behandelt.

Eindrücklich schilderte Böttge seine Kindheit, die nicht nur von Spielen mit seinem Bruder und den Nachbarskindern, sondern aufgrund der Mangelversorgung der Bevölkerung auch von der Aufgabe der Nahrungsbeschaffung geprägt war. Im Zentrum seiner Schilderungen stand allerdings das Schicksal seines Bruders, der als 16-Jähriger in der Schulpause ein Leninporträt aus Spaß bemalt hatte. Dieser unbedachte Streich wurde in der DDR erbarmunglos geahndet. Richard Böttge wurde als sogenannter «Klassenfeind» von der Stasi verhaftet, abgeführt und verschleppt, ohne dass seine Eltern wussten, wohin er gebracht wurde. Es folgten über zwei Monate hinweg tägliche Verhöre ohne Rechtsbeistand. Mit der «grünen Minna», so nannte man umgangssprachlich ein Fahrzeug der Polizei zum Gefangengentransport, wurde Richard in andere Haftanstalten verlegt. Schließlich erfolgte die Verurteilung vor einem sowjetischen Militärgericht zu 10 Jahren Arbeitslager. Zahlreiche Gnadengesuche seiner Familie und seiner Freunde blieben von der DDR-Justiz unbeantwortet. Nach 3 Jahren Haft wurde Richard vorzeitig entlassen. In seinen Entlassungsdokumenten musste er eine Verschwiegenheitsklausel unterschreiben, damit niemand über die menschenunwürdigen Lebens- und Arbeitsumstände seiner Haftzeit etwas erfahren konnte.

Trotz seiner Drangsalierungen während seiner Haftzeit schaffte es Richard Böttge beruflich Karriere zu machen. So gelangte er in eine führende Position und erhielt zahlreiche Auszeichnungen für seine Leistung in der Wärmebetriebsversorung der Stadt Hoyeswerda ohne zu ahnen, dass er unter ständiger Beobachtung und Bespitzelung der Stasis stand. So fanden sich nach der Wende mehr als 400 Seiten (ca. 50 Aktenordner) gefüllt mit Material der Stasis, in denen jedwede berufliche Entscheidung, Telefonate, Gespräche mit Mitarbeitern aufgezeichnet worden waren. Immer wieder war von Seiten der Stasi versucht worden Richard Böttge zu diskreditieren.

Horst Böttge selbst gelang es kurz vor dem Mauerbau 1961 aus der DDR zu fliehen. Bis zum Mauerfall 1989 konnte er seine Familienangehörigen und Freunde nicht mehr wiedersehen. Nur vereinzelt gab es heimliche Treffen mit seinem Bruder Richard getarnt als Geschäftsreisen im Ausland. Nachdem sein Bruder 2015 gestorben war, entschloss sich Horst Böttge als Zeitzeuge für Gespräche mit Schüler:innen in ganz Deutschland zur Verfügung zu stehen. Dabei geht es ihm neben dem persönlichen Schicksals seines Bruders auch darum, die DDR als Unrechtsstaat zu markieren und gleichzeitig zum Schutz unserer heutigen Demokratie und der demokratischen Werte aufzurufen.

Bildrechte: © Mitteldeutscher Verlag