Anlässlich des 100. Todestags Kafkas, an welchen dieses Jahr erinnert wird, entschieden wir als Klasse, uns mit Kafkas umfangreichem Werk „Das Schloss“ im Rahmen des Deutschunterrichts auseinanderzusetzen. Wie die meisten Werke Kafkas erschließt sich „Das Schloss“ nicht leicht, so näherten wir uns Werk und Autor im Unterricht auf unterschiedliche Art und Weise an. Am Donnerstagabend, den 25.04.2024, versammelten wir uns vor dem Residenztheater, um voller Vorfreude die Inszenierung anzuschauen. Mit Spannung fragten wir uns, wie das Ensemble unter der Leitung von Karin Henkel die Thematik in dieser modernen Inszenierung umgesetzt hatte.
Es geht um den Landvermesser K., welcher im Winter in einem verschneiten Dorf am Fuß eines Schlossberges ankommt. Die Dorfbewohner und auch K. selbst stehen zunehmend unter dem mysteriösen Einfluss des Schlosses und seiner Vertreter, die jedoch ungreifbar und undurchschaubar bleiben. Wie der Roman, so zeigt auch die Inszenierung den beharrlichen, aber vergeblichen Kampf des Landvermessers gegen die rätselhafte Bedrohung, die von der Schlossbehörde auszugehen scheint; K. versucht immer wieder das Schloss zu erreichen bzw. mit dem Schlossherren Kontakt aufzunehmen, was aber stets misslingt. Wie in allen Werken Kafkas, so geht es auch hier um geschlossene, undurchschaubare Machtgefüge und wie sich der Mensch fühlt, der dieser Macht begegnet.
Das gesamte Stück spielt auf einer schwarzen Bühne, die sich unablässig dreht. Raum, Zeit und Logik werden durcheinandergebracht, durch Lichteffekte, Bühnennebel, Uhren, die mal vorwärts und mal rückwärts laufen, Türen, die verschlossen sind und sich später wieder öffnen lassen. Der Landvermesser K. verirrt sich mehr und mehr in diesen Räumen. Die Aufseher und Aufseherinnen lassen ihn bei jedem Schritt auflaufen und verweigern ihm menschliche Gespräche strikt. K. muss Fragebögen ausfüllen, stellt er Fragen, so erhält er stets die stereotype Antwort „dafür bin ich nicht zuständig“. Diese Verwirrung birgt viel Ironie und Humor. Irritierend und gleichzeitig humoristisch wirkt auch, dass K. von vier verschiedenen Schauspielern unterschiedlichen Alters und Geschlecht stereotypisiert in derselben Bekleidung gespielt wird. Der Zuschauer weiß von Anfang an, dass der Landvermesser K. nicht ans Ziel kommen wird. Der Hoffnungslosigkeit für K. auf der Bühne nimmt ihren Lauf und gipfelt in dem Schlusssatz: „Es scheint aus dieser Welt keinen Weg in ein sinnvolles Leben zu geben“.
Das Fazit der Schüler und Schülerinnen fällt nach der Vorstellung eher verhalten aus. Vieles in der Inszenierung bleibt, wie bei Kafka üblich, rätselhaft, unzugänglich und bedrohlich und erzeugt im Publikum Abwehr. Der Nebel auf der Bühne nervt, das Bühnenbild wirkt zuweilen grotesk bis bedrohlich, Musik und abgebrochene Dialoge irritieren, die Schauspieler und Schauspieler spielen im Kreis.
Aber es ist vermutlich genau das, was Kafka und seine Werke so unverwechselbar als Autor der Moderne kennzeichnet. Die Rätselhaftigkeit, Unergründlichkeit der Welt, in der der Einzelne willkürlichen bürokratischen Prozeduren ausgeliefert ist, von denen es kein Entkommen gibt. So lässt sich die Inszenierung von Karin Henkel „Kafkas Schloss“ auch als Gleichnis für Opfer institutioneller Gewalt betrachten, etwa im Asylsystem, in der Sozialverwaltung oder im Gesundheitswesen. Und hier wie dort dreht sich der Protagonist wie ein Gefangener im Kreis und erlebt Demütigung und Niederlage immer wieder aufs Neue – kafkaesk eben.
Bildrechtehinweis: Das Schloss – Evelyne Gugolz, Nicola Mastroberardino, Carolin Conrad, Namami Weimar © Lalo Jodlbauer_PRESSE